Wie man den Flüchtling sieht

Der Begriff „Flüchtling“ bezieht sich auf ganz unterschiedliche Lebenserfahrungen: „(…) es kann sich um Evakuierte handeln, um Einwohner in unter feindlichem Beschuss stehenden Gemeinden, um Flüchtlinge aus dem Ausland (…).

Diese ungenaue Benützung des Begriffs findet man auch in der Presse wieder. Sie zeigt Bilder vom Elend der Flüchtlinge, von ihrer prekären Lage und ihrer Erwartung. Auf den Fotos sieht man meistens lange Kolonnen von Karren, die vollbeladen sind mit all der Habe, die man in Sicherheit bringen will.

Dieses Bild verändert sich nach den ersten Umsiedlungen im März 1915. Der Umsiedler wird von nun an als Zivilist gesehen, der die Besetzung und die Ausschreitungen der Deutschen ertragen musste und davon Zeugnis ablegen kann. An seinen Patriotismus wird erinnert, gerade als ob eine jahrelange Trennung vom Vaterland an seinen vaterländischen Gefühlen zweifeln ließe: Kinder tragen blau-weiß-rote Fähnchen, Menschenmengen sind beim Singen der Marseillaise gerührt. Im Gegensatz dazu versucht die deutsche Presse, das Klischee von schöner Eintracht zu demontieren und erwähnt die amtlichen Schikanen, den Mangel an Solidarität und die hohen Lebenskosten.

Sehr schnell jedoch werden die Umsiedler zu Flüchtlingen wie all die anderen, die weit von der Heimat ein neues Leben anfangen wollen. Wenn er dann sesshaft geworden ist, wird der Flüchtling als „Ausländer“ abgestempelt, ist von vornherein verdächtig und wird sogar für einen Schmarotzer gehalten.

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  • Einwohner von Ypres auf der Flucht aus der bombardierten Stadt, Fotografie, Auszug aus "Panorama de la Guerre", Band 2, 1914, "Caverne du Dragon-Musée du Chemin des Dames", Aisne

    Aus der Zeichenerklärung geht hervor, dass sie ihr Land nicht nur wegen der Kinder verlassen haben: "Und wir machen uns auf den Weg, mit der Gewissheit, dass wir auf dem französischen Staatsgebiet Unterkunft, Arbeit und brüderliche Unterstützung finden werden…". Nach der Invasion der Deutschen im Jahre 1914 lassen sich zahlreiche, belgische Flüchtlinge während des gesamten Krieges in der Normandie und der Pariser Region nieder.

  • Steinlen Théophile-Alexandre (1859-1923), Ein ziviler Flüchtlingskonvoi unter der Aufsicht deutscher Soldaten, erstes Viertel des 20. Jahrhunderts, Lithographie, Koll. Historial de la Grande Guerre, Péronne © Y. Medmoun 

  • Dumas A. Dick, Repatriierte, die sich die "Marseillaise" anhören, 1917, Bleistiftzeichnung auf Papier, Koll. Historial de la Grande Guerre, Péronne © Y. Medmoun

Einwohner von Ypres auf der Flucht aus der bombardierten StadtEin ziviler FlüchtlingskonvoiRepatriierte, die sich die "Marseillaise" anhören